MAD MAX – Prüfakt der Bundesstelle für jugendgefährdende Medien – kein Renommee

Faksimile des Prüfberichtes der BPjMFaksimile des Aktes Pr 533/93 zu MAD MAXEs steht nicht zur Diskussion, daß die Arbeit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien wichtig und notwendig ist. Dennoch zeugt der Prüfakt aus dem Jahre 1983 über MAD MAX von Oberflächlichkeit und Ungenauigkeit der Arbeit der staatlichen Einrichtung. MAD MAX ist auf dem Index gelandet und die Altersfreigabe von 18 Jahren ist mit Sicherheit gerechtfertigt. Im Zuge der Recherchen über die verschnittene Filmfassung, die auf VOX ausgestrahlt wurde, kamen wir in den Besitz des Prüfaktes, den uns freundlicher weise die stellvertretende Leiterin der BPjM, Frau Petra Meier, übermittelte.

Der uns übermittelte Akt umfaßt 6 Seiten, man sollte annehmen, daß der Filminhalt darin minutiös zerlegt sowie das Für und Wider zum Thema Altersfreigabe abgewogen würden. In der Entscheidung zu MAD MAX, die unter der Nr.: 1761 (V) vom 2.12.1983, bekanntgemacht im Bundesanzeiger Nr.: 245 vom 31.12.1983, wurde vom Prüfungsgremium einstimmig beschlossen, daß MAD MAX in die Liste der jugendgefährdenden Schriften/Medien aufgenommen wird.

Die dem Prüfbericht eingegliederte Filmkritik von Franz UlrichDie juristischen Aspekte sollen in dieser Reportage nicht im Vordergrund stehen, sondern es geht einzig und alleine um den Inhalt des Streifens und die Beleuchtung des Zustandekommens der Bewertung der staatlichen Stelle, die sich bereits in der Einleitung des Prüfverfahrens auf eine Filmkritik stützt, die in der „Fachzeitschrift der film-dienst, Heft 4 vom 20.2.1980“, verfaßt von Franz Ulrich, veröffentlicht wurde.

Die gesamte Filmkritik ist in dem Akt abgelichtet und in folgenden Punkten falsch beziehungsweise unkorrekt:

Auszug:

Die Motorradvandalen zertrümmern in destruktiver Lust mit Beilen, Ketten und Stangen die Autos harmloser Bürger und vergreifen sich an deren Begleiterinnen.

Faksimile der Filmkritik von Franz Ulrich aus dem Akt der BPjM

Im Film wird u.a. ein Pärchen tatsächlich Opfer der Gang, wobei jedoch in dem speziell hier angesprochenen Fall bei aufmerksamer Betrachtung der Abläufe die Feststellung zu machen ist, daß der Mann offensichtlich sexuell missbraucht wurde. Homosexuelle Neigungen, Gebärden und Gesten sind bei den Mitgliedern der Rockerbande im Verlauf des Films mehrmals wahrnehmbar. Eindeutig wird bei der Szene des flüchtenden Mannes der sexuelle Mißbrauch durch erkennbare Rötung des Gesäßes ersichtlich.

Szenenbild aus MAD MAXSzenenbild aus MAD MAX
Szenenbild aus MAD MAX zu dem flüchtenden männlichen Opfer sexuellen Mißbrauchs durch die Gang

Im ausführenden Text des Prüfaktes auf Seite 6 der BPjM findet sich dann zu diesem Vorfall folgende Angabe:

Faksimile aus dem Prüfakt zu MAD MAX

Anschließend wird sie nackt mit einer Kette an die Karosserie gefesselt. Der junge Mann kann verletzt fliehen.

Kein Wort von der offensichtlichen sexuellen Mißhandlung des Mannes. Das Mädchen war weder nackt, noch an die Karosserie des Fahrzeuges gekettet. Das Thema der Homosexualität war möglicherweise zu Beginn der 1980er Jahre tabu. Die Frau befand sich beim Fahrzeug und war mit einem langen Seil, das am Ende als Verlängerung eine Kette hatte, mit dem Fuß des Gangmitgliedes Johnny the Boy verbunden.

MAD MAX Szenenbilddas weibliche Opfer ist an Johnnys Bein gefesselt

Szenenbild aus MAD MAXsie war definitiv nicht nackt – in keiner einzigen Szeneneinstellung (das Opfer kroch nur durch das Auto, ist nicht daran gefesselt. Das Ende des Seils hält Goose in der Hand)

Der Filmkritiker weiters:

Die Motorradbande ermordet Frau und Kind auf der Straße. Da sieht Max rot, schlüpft in seine Ledermontur, setzt sich ans Steuer einer 600-PS-Maschine und massakriert als Richter und Henker die Motorradkriminellen bis zum letzten Mann.

Faksimile aus dem Prüfakt

Selbst der Prüfakt wechselt bezüglich des Punktes, der Ermordung von Frau und Kind mehrmals die Aussage in seinen Ausführungen.

Faksimile aus dem Prüfakt

Textauszug auf Seite 5 in den Ausführungen:

Max muß beobachten, wie Rocker seine Frau und sein Kind töten.

Im Film hat Max nicht beobachtet, wie seine Familienangehörigen überfahren wurden. Er befand sich lediglich zu Fuß auf dem Weg zum Tatort.

Faksimile aus dem Prüfakt

Textauszug von Seite 6:

Das Kind stirbt sofort, die Frau erst später im Krankenhaus.

Faksimile aus dem Prüfbericht

Testauszug ein paar Zeilen weiter:

Im Verlauf der weiteren Handlung verfolgen die Rocker Max’ Frau und sein Kind. Beide werden überfahren. Das Kind stirbt sofort, die Frau erst später im Krankenhaus.

Dazu Textpassagen aus dem Film, dem Gespräch im Krankenhaus zwischen den Ärzten und dem Krankenhauspersonal:

Sie hat´s ganz schön erwischt. … Wird sie es überleben? Herz und Kreislauf haben sich jedenfalls stabilisiert. … Schwester, sagen Sie ihm, daß sie wieder gesund wird.

Hier der O-Ton der Szene

Auch die Vorgänge betreffend den Police officer Jim Goose werden falsch angegeben. Im Prüfbericht lautet es:

Ein Freund von MAX wird anschließend von Rockern verfolgt. Er wird mit seinem Auto von der Straße abgedrängt. Dann wird das Fahrzeug in Brand gesetzt. Der Mann verbrennt darin.

Faksimile aus dem Prüfbericht

Tatsächlich wurde das Motorrad von Goose von Johnny manipuliert. Während einer Fahrt kommt er zu Sturz und schleppt das Bike mit einem Pick Up ab. Die Gang erwartet an der Wegstrecke dessen Vorbeifahrt und wirft einen schweren Metallgegenstand auf das Auto, worauf Goose das Fahrzeug verreißt und im Graben landet. Der Pick-Up überschlägt sich und kommt am Dach liegend zu Stillstand. Goose ist eingeklemmt und Treibstoff tritt aus. Toecutter, der Bandenboß der Gang, sorgt im Beisein von Johnny the Boy dafür, daß das Fahrzeug in Brand gerät. Johnny ging dieser Schritt jedoch zu weit. Goose verbrennt nicht im Fahrzeug, sondern wird schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht.

Die Aussage des Kritikers, daß MAX als Richter und Henker die Motorradkriminellen bis zum letzten Mann massakriert, ist ebenso falsch. Auch bestätigt „Das große Wörterbuch der Deutschen Sprache„, daß massakrieren das Umbringen in grausamer, brutaler Weise bedeutet. MAX erschoß Bubba Zanetti, der gemeinsam mit Toecutter und Johnny the Boy MAX eine Falle stellte, in dem Moment, als er MAX, der verletzt auf der Straße lag, überfahren wollte definitiv in Notwehr. Vier weitere Gang-Angehörige machte MAX bei der Konfrontation auf einer Brücke lediglich handlungsunfähig. Zwei stürzten mit dem Motorrad ins Wasser und zwei weitere Biker kamen auf der Fahrbahn zu Sturz. Anm.: Alle Motorradfahrer trugen Helme. Johnny the Boy wurde die Möglichkeit eingeräumt, seine Handschellen oder den Fußknöchel durchzusägen um der Explosion des Fahrzeuges, an das MAX ihn gekettet hat, zu entgehen. Selbst bei der Auslegung, daß Johnnys Tod von MAX in Kauf genommen wurde, hätte Johnny diesem Schicksal entrinnen können. Wertet man Johnnys Tod als vorsätzliches Tötungsdelikt, dann ist dies der einzige Fall im Film. Bandenboß Toecutter wurde zwar von MAX verfolgt, fuhr jedoch frontal in einen entgegenkommenden Lastkraftwagen. Übrigens ein Szenario, das VOX auch etwas verändert darstellte.

Szenenbild aus MAD MAX

18 Gang-Angehörige konnten bei der Einfahrt in die Stadt gezählt werden, die Anzahl der im Film gezeigten vorsätzlichen Tötungsdelikte durch MAX betrug hingegen tatsächlich nur eines, nämlich den Tod von Johnny the Boy. Auch das Prüfungsgremium übernimmt die Aussage des Filmkritikers (auf Seite 3 des Aktes) wie folgt:

Er bringt einen Rocker nach dem anderen um, bis alle tot sind.

Szenenbild aus MAD MAX

Das Prüfungsgremium führt dann beispielsweise auch aus:

Am Ende des Films beobachtet Max einen Gauner, der einem der toten Rocker die Stiefel ausziehen will. Er bindet ihn mit Handschellen an ein Autowrack und sprengt es in die Luft, so daß der Mann stirbt.

Faksimile aus dem Prüfbericht

Fakt ist jedoch, daß es sich bei dem besagten Gauner um einen Hauptakteur des Filmes handelt, nämlich Johnny the Boy. Der Tote war ein „normales“ Unfallopfer und kein Rocker. Das MAX ihm eine Alternative angeboten hat um den Tod zu entgehen ist hier Nebensache, jedoch ist diese falsche Angabe ein weiterer Hinweis dafür, daß man beim Screening offensichtlich nicht genau hingesehen hat. Von Werbeunterbrechungen muß ja wohl nicht ausgegangen werden. O-Ton der Szene

Szenenbild aus MAD MAX

Sowohl der Filmkritiker, Franz Ulrich, als auch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien haben den wohl wichtigsten Faktor, der den zugegebenenermaßen außergewöhnlichen und brutalen Handlungsverlauf mit sich brachte, vollkommen unerwähnt gelassen: die Korruption innerhalb der Justiz. Dies ist seltsam, weil hier der Faktor Politik ins Spiel kommt und betrachtet man Ulrichs Ausführungen:

In einem moralischen und rechtlichen Niemandsland ohne Grenzen zwischen Gut und Böse herrscht das Chaos, in dem nur der Stärkere und Schnellere überlebt. … Das Besondere liegt darin, daß Miller (Anm.: Filmproduzent) auf all das pfeift, womit bisher die brutalen Mittel der Polizei gerechtfertigt wurden: gesellschaftliche, ethische und ideologische Normen und Gesetze, Staatsmacht, Autorität, Recht und Ordnung, bürgerliche Werte, Millers Cops, kümmern sich einen Dreck, um Recht und Gesetz. Die Motorradrowdies sind ihre persönlichen Feinde …

Faksimile der Filmkritik aus dem Prüfbericht

Fakt ist, daß Johnny the Boy, wie zu Beginn aufgezeigt, am Verbrechen an dem Pärchen beteiligt ist und von MAX und Goose festgenommen und auf die Polizeidienststelle verbracht wird. Dann jedoch intervenieren Anwälte, auf höhere Weisung wird der Verbrecher laufen gelassen. Angesichts der bevorstehenden Freilassung von Johnny the Boy kommt es nicht nur zu einem verbalen, sondern auch körperlichen Schlagabtausch zwischen Goose und den Anwälten. Der Polizeichef, Fifi Macaffee, äußert schon im Vorfeld zu Max Rockatansky (MAX) „Hab ein Auge auf Goose, es wird keine Anklage erhoben.“ Ein Eklat – der Verbrecher kommt, ohne zur Rechenschaft gezogen worden zu sein, auf freien Fuß. Selbst der Polizeichef ist sichtlich erzürnt über die Weisung und sagt, daß nichts gewesen sei:

Niemand ist etwas geschehen – die Biker haben nichts getan, der Kleinen ist nichts geschehen und ihrem Freund auch nichts.

Verstrickungen zwischen Gangstern und der Justiz beziehungsweise der Polizeispitze sind Ursache für den weiteren Verlauf der gewaltsamen Ereignisse. Dieser Punkt wurde sowohl vom Kritiker als auch von der Bundesprüfstelle völlig ignoriert. O-Ton der Szene

Szenenbild aus MAD MAX

Nein, übersehen haben konnte man ihn im Film nicht, aber genau wie die Thematik der Homosexualität waren es Inhalte die scheinbar zu Beginn der 1980er Jahre nicht diskussionswürdig waren, man ignorierte sie einfach. Aber beispielsweise polizeiliche Anweisungen, die ein Einschreiten bei Straftaten untersagten und den alleinigen Befehl auf die Beobachtung des Geschehens beinhalteten, sind dem Verfasser dieses Artikels aus eigener Berufserfahrung bekannt. O-Ton der Szene. Hat sich an der inhaltlichen Ausgangsbasis zu dem Zeitpunkt der Erstaufführung von MAD MAX gegenüber heute etwas verändert? Es bleibt zu hoffen, daß das Prüfungsverfahren zu MAD MAX ein Einzelfall ist und sich das Gremium nicht nur alleine auf die Filmkritiken Dritter stützt und sich noch ausführlicher mit den zu prüfenden Filmen beschäftigt, damit die Seriosität einer Beurteilung und damit auch die Arbeit der staatlichen Einrichtung der zu erwartenden Sorgfaltspflicht auch tatsächlich nachkommt. Bei MAD MAX bleibt das Resultat wie gesagt unangefochten, jedoch das Zustandekommen zeugt von einer unglaublichen Oberflächlichkeit der Prüfer und deren Ignoranz gegenüber ihrer Verantwortung und ihrem Auftrag, was damals wie heute ein nicht zu unterschätzendes Problem darstellt.

© Copyright der MAD MAX-Bilder & O-Töne by Warner Bros.
Die MAD MAX Szenenbilder sowie O-Töne dienen ausschließlich der Illustration der Reportage, das Copyright von Warner Bros. bleibt dadurch unberührt.

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